Releasetermin: 05.05.2017

 

Medientyp: Blu-ray Disc, Download
Genre: Adventure
Entwickler: Red Thread Games
Herausgeber: Red Thread Games

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Eine kurze Geschichtsstunde: 2000 veröffentlichte der Game-Designer Ragnar Tørnquist das PC-Adventure The Longest Journey, 2006 folgte der direkte Nachfolger Dreamfall: The Longest Journey. Anschließend war es lange Zeit ruhig um das Adventure-Franchise, bis die Entwickler 2013 via Kickstarter Spenden für den Abschluss der Trilogie sammelten. Nach erfolgreichem Crowdfunding wurde Dreamfall Chapters schließlich episodenweise zwischen 2014 und 2016 veröffentlicht. Bis jetzt waren die Adventures Playstation-Spielern noch nicht zugänglich, das soll sich mit dem letzten Teil der Reihe aber noch nachträglich ändern: Dreamfall Chapters wagt den Sprung vom PC auf die PS4 und erscheint als Komplettpaket mit allen Episoden. Glückt der Plattformwechsel?

Dystopie zwischen Science Fiction & Fantasy

Nach wenigen Spielstunden stellte sich mir schon die Frage nach der Zielgruppe von Dreamfall Chapters. Das Spiel richtet sich ganz eindeutig an Adventure-Fans, die für eine spannende Geschichte auch gerne mal einige technische Schnitzer in Kauf nehmen – dazu aber später mehr. Idealerweise sollten Käufer des Spiels jedoch auch schon die Vorgänger gespielt haben, da nur so ein absolutes Verständnis der Geschichte möglich ist. Wieso eben solche Spieler jetzt jedoch nicht mehr auf dem PC, sondern auf der PS4 weiterspielen sollten, ist mir nicht ganz schlüssig. Doch zurück an den Anfang: Dreamfall Chapters inszeniert eine wirklich spannende Dystopie irgendwo zwischen Science Fiction und Fantasy, die allein schon wegen ihres Settings hervorragend funktioniert. Zentrales Element der Geschichte ist die Erfindung der sogenannten Dreamachines, die Benutzern auf Knopfdruck luzides Träumen ermöglichen. Dass diese durch Missbrauch der Nutzerdaten und die unerforschten Gefahren für Diskussion sorgen, ist nur ein kleiner Teil des Storygeflechts von Dreamfall Chapters.

Denn Dreamfall Chapters geht erzählerisch weit über die eindimensionale Thematik des Träumens hinaus. Stattdessen werden komplexe politische und gesellschaftliche Konflikte aufgezeigt, Wissenschaft und Glauben abgewogen und mehr als einmal mit Ethik und Moral argumentiert. Ihr wechselt in der Haut dreier vielschichtiger Charaktere zwischen Traum und Realität, wobei die verschiedenen Welten und Perspektiven ganz unterschiedliche Erzählweisen und -tempos mit sich bringen. Viele Worte über den Verlauf der Geschichte will ich gar nicht verlieren, doch die Art in der die Geschichte der bereits aus dem Vorgänger bekannten Zoë Castillo sinnvoll mit Geschichten neuer Charaktere verknüpft wird, ist sehr gelungen. Dreamfall Chapters bietet eine umfangreiche Geschichte, die insbesondere dank des reichhaltigen und unglaublich interessanten Universums sehr unterhaltsam ist.

Verständnisprobleme

Doch eine komplexe Geschichte bringt nichts, wenn man sie nicht versteht. Als dritter Teil einer direkt zusammenhängenden Trilogie macht Dreamfall Chapters es PS4-Neueinsteigern nicht gerade leicht, die Handlung auf Anhieb komplett zu verstehen. Schon zu Beginn fühlt man sich mit diversen Begriffen etwas überfordert, die zahlreichen Figuren und vielschichtigen Thematiken helfen dem Verständnis dabei nicht wirklich. Ja, Dreamfall Chapters setzt in einigen Punkten gewisse Vorkenntnisse beim Spieler voraus, aber in meinen Augen kann man die Geschichte auch genießen, ohne die Vorgänger zuvor gespielt zu haben. Dreamfall Chapters bemüht sich, mit Werkzeugen wie der Charakterbibliothek dabei zu helfen, dem Spieler wichtige Hintergrundinformationen zu den Figuren und einigen Zusammenhängen zu bieten. Zu Beginn verwirren trotzdem einige der Zeit- und Raumwechsel. Mit genügend Interesse an der Geschichte des Spiels (und Potenzial hat diese auf jeden Fall) setzt man sich aber über solche Stoplersteine hinweg.

Beim Erleben der Handlung bleibt man dabei jedoch nicht nur stiller Beobachter, sondern muss auch selbst ran. Einerseits äußert sich dies durch das Erfüllen von kleineren Aufgaben und Kombinationsrätseln, wie man sie aus vergleichbaren Adventures kennt. Diese sind meist eher simpel gehalten, schaffen es aber trotzdem gelegentlich sehr frustrierend zu sein. Im Grunde bekommt ihr es überwiegend nur mit dem Zusammenfügen einzelner Gegenstände zu tun, da diese aber ab und zu willkürlich wirken oder manche der Objekte schwer auffindbar sind, dämpft Dreamfall Chapters sich unnötig selbst aus. Auch ein bisschen mehr Mut zu spielerischen Neuerungen hätte man sich gewünscht: was die Rätselmechaniken angeht, ist Dreamfall Chapters nämlich definitiv in den Zeiten seiner Vorgänger hängengeblieben.

Schon spannender sind daher die Entscheidungen, mit denen der Spieler in den hervorragend geschriebenen Dialogen konfrontiert wird. Von eher unbedeutenden Richtungslenkungen der Konversationen bis hin zu auswirkungsreichen Entschlüssen gibt es in Dreamfall Chapters alle Graustufen. Was die Möglichkeiten einer Auswahl und die Einflüsse der Entscheidungen angeht, ist das Spiel von Tørnquist Konkurrenten wie Beyond: Two Souls oder den Telltale-Spielen sogar noch einen Schritt voraus. Dank des verworrenen Universums und unterschiedlichster erzählerischer Schichten ist es den Entwicklern möglich, den Spieler vor sehr schwierige, moralische Abwägungen zu stellen. Oft gibt es hier kein richtig oder falsch – jede Entscheidung will wohlüberlegt und nach eigenen Wertvorstellungen beschlossen sein. Interessant ist dabei auch die Möglichkeit, sich anzeigen zu lassen, wie andere Spieler bei der selben Frage geantwortet haben.

Ich würde Dreamfall Chapters bis zu diesem Zeitpunkt jedem Adventure-Fan mit Mut für komplexe Geschichten empfehlen, wäre da nicht der sehr rückschrittliche technische Zustand des Spiels. Schon das PC-Original hatte mit einigen Fehlern zu kämpfen, die inzwischen glücklicherweise zum Teil ausgebessert worden sind. Doch noch immer macht Dreamfall Chapters leider den Eindruck, unfertig auf den Markt gekommen zu sein. Zunächst merkt man der generellen Grafik das eher geringe Budget des Titels deutlich an. Warum man sich jedoch gegen einen zeichnerischen Grafikstil und für „realistische“ 3D-Modelle entschieden hat, wird mir nicht ganz klar. Kantenflimmern, hässliche Umgebungen, fehlende Mimik und hölzerne Animationen reißen den Spieler oftmals aus dem Geschehen und bremsen die Geschichte merklich aus. Dabei merkt man die Vision die Entwickler an vielen Stellen: sowohl in der Regie als auch in der sehr verträumten oder auch düsteren Farbgebung stecken oft wirklich gute Ideen, die wegen zu wenig Zeit, Können oder Geld leider in der Umsetzung scheiterten. Zudem ist die deutsche Sprachausgabe zwar stellenweise gelungen, bei anderen Figuren aber eher unterdurchschnittlich. Wer die Wahl hat, greift zum englischen Pendant.

Wertung im Einzelnen
Grafik
5
Story/Setting
9
Gameplay
7
Musik
7
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