Schon mit Remember Me zeigte Dontnod Entertainment, dass ihnen eine kreative Ader innewohnt. Nachdem ihr erstes Werk jedoch nur sehr mittelmäßig ankam, blieb ich gespannt, was das französische Studio als nächstes entwickeln würde. Dass ihnen mit dem Adventure Life is Strange jedoch ein solch großer Wurf gelingen würde, erwartete ich damals noch nicht. Doch es hat geklappt: mit der DNA von Spielen der Telltale-Reihe begeisterte das Spiel mit einer persönlichen Geschichte rund um Max Caulfield, die auf der Blackwell Academy mit mehr als nur Problemen einer klassischen Teenagerin umgeben ist. Während Dontnod Entertainment aktuell bereits am Nachfolger des Adventures arbeitet, hat man die Verantwortung für ein Prequel mit dem Subtitel Before the Storm an Deck Nine Games weitergegeben. Die Vorgeschichte erscheint auf drei Episoden verteilt, den Anfang machte vergangenen August die Episode „Erwacht“.
Und dann kam Rachel
Life is Strange: Before the Storm führt den Spieler drei Jahre zurück und stellt dieses Mal Chloe Price in den Mittelpunkt. Als wichtiger Charakter und beste Freundin von Max Caulfield spielte sie schon in Life is Strange eine große Rolle und wird in Before the Storm schließlich zur Protagonistin. Zwar schwingt bei der Entscheidung zur Entwicklung von Prequels stets ein mulmiges Gefühl mit, doch zum Glück birgt die Person von Chloe noch genügend Geheimnisse, die in Before the Storm behandelt werden könnten. Und so macht „Erwacht“ sofort klar, mit was für einer Figur wir es zu tun haben. Chloe Price, damals noch von ihrer Kindheitsfreundin Max alleine gelassen, ist von einer Vielzahl an Problemen geplagt. Besonders der zurückliegende Unfalltod ihres Vaters setzt ihr nach wie vor zu und lässt diverse andere Komplikationen folgen. In der Schule ohne wirkliche Freunde, in den eigenen vier Wänden unzufrieden mit dem neuen Freund der Mutter – Chloe fühlt sich überall missverstanden und wird durch ihre Trotzigkeit schnell zu dem, was man gerne als einen Problem-Teenager bezeichnen würde. Deck Nine Games schafft es in kürzester Zeit einen nachvollziehbaren Charakter zu formen, der nur leicht in stereotypische Muster verfällt.
Doch trotz aller Probleme offenbart sich am Anfang von „Erwacht“ ein Lichtblick für Chloe: als sie sich nachts von Zuhause rausschleicht um ein Konzert der Rockband Firewalk zu besuchen, freundet sie sich mit Rachel Amber an. Sie gilt als eine der beliebtesten Personen der Blackwell Academy, was die angehende Freundschaft zu einer gegensätzlichen Konstellation macht. Doch irgendwie scheint hinter der Beziehung mehr zu stecken, was schon in der ersten Episode leicht durchscheint. Wohin das Prequel thematisch letztendlich hin möchte, ist nach dem Auftakt aber irgendwie noch nicht so ganz klar. Die neu gewonnene Freundschaft scheint das große Thema zu sein, von der fast apokalyptischen Erzählung und großen Gefahren wie wir sie aus dem Original-Spiel kennen, ist aktuell aber noch nichts zu sehen.
Ein Wiedersehen mit alten Bekannten
Life is Strange: Before the Storm ist besonders für Kenner des Vorgängers eine spannende Geschichte. Zwar geht es auch in neue Gefilde, viele der Schauplätze wecken bei Spielern allerdings Erinnerungen an den ersten Teil. Auf der Blackwell Academy trifft man natürlich auch auf diverse alte Bekannte: Mitschüler, Lehrer, Schuldirektor – unter einige neue Figuren wurden viele bekannte Gesichter gemischt. Wie schon im Vorgänger versucht Deck Nine auch in Before the Storm den Randfiguren eine Bedeutung zu geben. Eine kleine Auseinandersetzung vor der Schule wirkt alltäglich, könnte aber auf der anderen Seite entscheidend für die Entwicklung einer Einzelperson sein. So sieht man den schikanierten Nathan Prescott in einer späteren Szene einsam herumsitzen, sodass schnell Mitgefühl entsteht. Sogar bei Spielern, die seine – ich versuche im Test auch den Vorgänger nicht zu spoilern – „kontroversen“ Aktionen in der Zukunft kennen.
In der Charakterisierung der Figuren steht das erste Kapitel von Before the Storm dem Werk von Dontnod Entertainment also auf den ersten Blick in nichts nach. Doch irgendwie fehlte mir über weite Strecken die Magie, die Life is Strange zuvor ausmachte. Die spielerische Ausgangslage ist auch in Before the Storm erstmal nicht großartig anders. Ähnlich wie in den Titeln von Telltale Games hangelt ihr euch von Dialog zu Dialog und habt dabei auch häufig die Entscheidungsfreiheit über Chloes Antworten. Zwischendrin gilt es minimalistische Kombinierrätsel zu lösen und Umgebungen zu erkunden. Eine große Änderung gegenüber dem Original ist jedoch das fehlende Zeitreise-Feature. Max Caulfield verfügte plötzlich über die Gabe, die Zeit zurückzudrehen und somit vergangene Entscheidungen mit neuem Wissen zu verändern. Was erzählerisch in Filmen keinen mehr begeistern würde, sorgte gerade wegen der spielerischen Auswirkungen für ganz neue Impulse im Genre. Abschnitte werden wiederholt durchlebt und durch neue Informationen der Gegenwart können in der Vergangenheit ganz neue Vorgehensweisen gewählt werden. Trotzdem gibt es kein Richtig und kein Falsch – sämtliche Entscheidungen werden fern von einfachen Schwarz-Weiß-Beantwortungen zu Momenten, in denen man tatsächlich längerfristig überlegt.
Der fehlende Funke
Und leider blieben solche Momente in Before the Storm bislang aus. Durch die fehlende Zeitreise-Mechanik fehlt ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des Spiels, das durch die neue Widerworte-Mechanik nur bedingt ersetzt wird. Bestimmte Dialoge können sich nämlich in Diskussionen verlieren, bei denen man als Spieler penibel auf die Aussagen der anderen Charaktere achten muss. Anschließend muss bei der Auswahl der Gesprächsoption jene gewählt werden, die das vorangeganene Argument am besten entkräftet oder entsprechend kontert. Das war zwar in der ersten Episode mitunter ganz unterhaltsam, wird jedoch schon beim dritten Mal sehr unspektakulär und kann nicht im Ansatz mit der Faszination des Zeitreisens mithalten. Außerdem sind auch die Entscheidungsmöglichkeiten, vor die ich bislang gesetzt wurde, selten von großartigen Auswirkungen verfolgt worden. Klar, einige Konsequenzen sollen sich auch erst im Verlauf der anderen Episoden zeigen, aber bislang hatte ich das Gefühl nur wirklich wenig Einfluss auf die Entwicklung der Geschichte oder die der Charaktere zu haben.