Releasetermin: 14.11.2018

 

Medientyp: Blu-ray Disc, Download
Genre: Rollenspiel
Entwickler: Bethesda
Herausgeber: Bethesda

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Es ist kein Geheimnis, dass Fallout 76 den Erwartungen zahlreicher Spieler nicht annähernd gerecht wurde. Vielerorts sprechen Magazine von der größten Spieleenttäuschung des Jahres und bei Metacritic hat die PS4-Version aktuell einen Wertungsdurchschnitt von desaströsen 53 Prozent. Hinzu kommt, dass sich Entwickler und Publisher Bethesda auch abseits des reinen Spielinhaltes nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat: Sowohl die minderwertige Qualität einer Tasche in der Special Edition als auch eine drastische Preissenkung des Rollenspiels sorgte bei Käufern für Unmut. Das Ergebnis ist also ein halbgares Spiel, das man getrost ignorieren sollte – oder doch nicht?

Frisch gestylt in die Apokalypse

Auch ich war schon vor Release des Spiels zugegebenermaßen eher skeptisch: Fallout, eine Videospiel-Reihe die seit jeher durch stimmungsvolle Solo-Abenteuer überzeugte, erhält plötzlich eine Mehrspieler-Komponente? Doch da ich sowohl mit Fallout 3 und 4 als auch mit diversen anderen Titeln aus dem Hause Bethesda, zuletzt etwa Prey, Wolfenstein 2: The New Colossus und The Evil Within 2, meinen Spaß hatte, blieb ich optimistisch. Und tatsächlich: Der Auftakt und die ersten Spielminuten von Fallout 76 weckten erneut meine Vorfreude auf das Rollenspiel.

Wie schon seine Vorgängern zaubert auch Fallout 76 ein postapokalyptisches Szenario auf eure TV-Bildschirme. 25 Jahre nach einer nuklearen Katastrophe sollten sich die Bewohner des Atombunkers Vault 76 wieder an die Erdoberfläche begeben und mit dem Wiederaufbau der menschlichen Zivilisation beginnen. Zunächst erwartet den Spieler aber ein umfangreicher Charaktereditor, wie man ihn von Bethesda-Rollenspielen gewohnt ist: Optionen wie Frisuren, Gesichtsformen, Statur und vieles mehr sorgen dafür, dass ihr euren Überlebenden frei nach euren Wünschen personalisieren könnt. Anschließend verlasst ihr nach kurzen Tutorialaufgaben den Bunker und erblickt das, was vor Jahren einmal West Virginia war.

Eine Welt, die Geschichten erzählt

Braungraues Ödland. Verlasse Hütten, heruntergekommene Häuser und Fahrzeuge am Straßenrand. Zerstörte Landstraßen, beschädigte Mauern, verwüstete Umgebungen. Der nukleare Krieg hat offensichtliche Folgen hinterlassen und wenn man zuvor noch keinen Fallout-Titel gespielt hat, können die ersten Schritte in der Spielwelt einen ähnlichen Wow-Effekt erzielen, wie etwa der erste Anblick von Rapture in Bioshock. Ab diesem Zeitpunkt seid ihr auf euch alleine gestellt. Wohin es auf der gigantischen Map, die viermal so groß wie die Spielwelt aus Fallout 4 ist, gehen soll, liegt komplett in euren Händen.

Natürlich könnt ihr euch bereits zu Beginn an diversen Hinweisen orientieren und so den verschiedenen Story-Pfaden des Spiels folgen. Gleichzeitig entwickelte sich bei mir aber auch schnell auch eine Eigenmotivation: Ich möchte wissen, was hier abgelaufen ist und herausfinden, ob und wo es möglicherweise weitere Überlebende der Katastrophe gibt. Haupt- und Nebenquests verschwimmen in Fallout 76 schnell – an jedem neuen Ort, den ihr besucht, warten neue Geschichten und Einzelschicksale auf euch. Über Audio-Logs, Dokumente und Computerdateien setze ich mir mein eigenes Puzzle der Geschehnisse zusammen. Dabei spielt auch die Umgebung der Spielwelt eine große Rolle: Jedes Durcheinander einer Inneneinrichtung, jede provisorische Schutzeinrichtung und jeder verlassene Camping-Platz mit improvisierter Nahrung erzählt Geschichten von Verzweiflung, Paranoia und dem Umgang mit den Nachwirken des Atomschlags.

Das Fallout-Rezept

Dass im postapokalyptischen West Virginia auch einige Gefahren lauern, realisiert ihr spätestens bei der ersten Begegnung mit einem der mutierten Gegner. Wie schon seine Vorgänger brilliert auch Fallout 76 mit wunderbar ausgefallenen Kreaturen-Designs. Mehrköpfige Tiere, die durch Mutationen teilweise auch auf ein Vielfaches ihrer natürlichen Größe angewachsen sind, sind nur die Speerspitze. Hinzu kommen Flugmonster, menschliche Mutanten und zahlreiche Widersacher, die sich nur schwer in eine Kategorie einordnen lassen. An jeder Ecke lauern abwechslungsreiche Gefahren, die mal größer und mal kleiner ausfallen. Natürlich dürfen auch riesige Bossgegner und bedrohliche Mengenbegegnungen nicht fehlen.

Egal wer euch in Fallout 76 auch vor die Flinte kommt: Ihr wollt gut ausgerüstet sein. In bekannter Survival-Manier müsst ihr im verlassenen Ödland auf alles zurückgreifen, was ihr in irgendwelchen Ecken findet. Ihr durchsucht die Umgebung nach Waffen, verwertet allerlei Schrott für Verbesserungen und Upgrades und kümmert euch parallel noch um eine ausgewogene Ernährung – bestenfalls ohne radioaktiv belastete Lebensmittel. Ja, das normale Leben in der Welt von Fallout 76 ist wirklich nicht einfach. Doch das Konzept des Rollenspiels funktioniert: Stufenaufstieg mit freier Attributbelegung, bessere Rüstung, wirksamere Heiltränke, erfolgreichere Kämpfe – das alles motiviert wie eh und je. Sehr nett ist auch das neue Perk-System, das euch bei jedem Aufstieg mit weiteren Zusatzattributen und -fähigkeiten belohnt. In Kombination mit dem erprobten Taktik-Kampfsystem, das in hektischen Situationen aber auch manche Schwierigkeiten mit sich bringt, erzeugt Fallout 76 dank einer großen Bandbreite an Waffen sowohl im Nah- als auch im Fernkampf für spannende Auseinandersetzungen.

Zerstörtes Potenzial

Ich hätte es nach den vernichtenden Kritiken nicht gedacht, doch Fallout 76 erzeugt teilweise wirklich atmosphärische Augenblicke. Eine Momentaufnahme: Ich erreiche eine kleine Siedlung und staune, wie die Entwickler die einzelnen verwahrlosten Gebäude gestaltet haben. Dazu ein stimmungsvoller Lichteinfall, der die herbstlich-bunten Blätter der Bäume wunderschön in Szene setzt. Doch sobald sich die Wirkung entfalten möchte, reißt mich das Spiel wieder raus. Ja, Fallout 76 präsentiert sich teilweise in einem technischen Zustand, der dem Spielgerüst in keinster Weise gerecht wird. In besagter Szene war es etwa eine Herde mutierter Hirschen, die ruckelig durch mein Sichtfeld schwebt und mir erneut vor Augen führt, wie unfertig Fallout 76 an vielen Punkten wirkt.

Server-Abstürze, Lags in Action-Szenen, einfrierende Bildschirme direkt nach Spielstart, verschwindende Gegner oder Basen, merkwürdige KI – lupenreiner Spielspaß sieht definitiv anders aus. Besonders wenn Angriffe feindlicher Kreaturen von nervigen Lags begleitet werden, kommt es zu besonders viel Frust. Manche werden sicher seltener auf Fehler treffen als andere und von Bethesda-Spielen ist man es ja eigentlich schon gewohnt, dass sie mit kleineren Kinderkrankheiten veröffentlicht werden. Aber in diesem Ausmaß ist es fast schon eine Frechheit, dass der Publisher Fallout 76 so überhastet auf den Markt gebracht hat. Auch Wochen nach Release ist der Titel nach wie vor von diversen Technik-Macken geplagt – erste Patches haben für Spätkäufer zwar schon einiges bereinigt, mit zahlreichen Fehlern werdet ihr aber trotzdem zu kämpfen haben. Doch zum Glück funktioniert der Ingame-Shop, indem ihr weitere Items für Kostüme oder den Basenbau gegen Echtgeld kaufen könnt, seit Tag 1 tadellos!

Mehr Spieler, weniger Spaß?

Und es gibt natürlich noch den Multiplayer. Eigentlich ist der Grundgedanke gar nicht schlecht: Statt computergesteuerten NPCs trefft ihr dieses Mal ausschließlich auf menschliche Spieler und unterstützt euch gegenseitig im Kampf gegen die Gefahren der Spielwelt, handelt mit Gegenständen und helft einander bei allerlei Quests. Diesem eigentlich spannenden und gewagten Ansatz stehen jedoch auch einige Probleme gegenüber. Abseits von den zuvor erwähnten technischen Problemen erschloss sich mir auch der spielerische Mehrwert eines Multiplayer-Fallouts nicht vollständig. Für mich lebte Fallout immer von der absoluten Einsamkeit und auch wenn ich den Reiz eines gemeinsamen Erkundens der Spielwelt verstehen kann, so wurde das Quest-Design in meinen Augen nicht genug auf die Mehrspieler-Komponente umgemünzt.

Kein Wunder, schließlich ist es auch komplett optional: Fallout 76 lässt sich genauso gut alleine durchspielen. Während durch diese Informationen vielen Spielern vermutlich ein ziemlicher Stein vom Herzen gefallen ist – die Multiplayer-Ankündigung wurde von vornherein sehr zweifelnd betrachtet – ist das Resultat ein Spiel, das seinen Gameplay-Fokus spürbar nicht gefunden hat. Hinzu kommt ein Quest-Portfolio, das euch zwar haufenweise zu tun gibt, es aber nie über gewohnte Rollenspielkost hinaus schafft. Doch auch als jemand, der Fallout 76 überwiegend alleine gespielt hat, hatte ich meinen Spaß. Auf einem Server befinden sich ohnehin maximal 24 Spieler, sodass es ohne Absicht eher selten zu Begegnungen in den großen Weiten West Virginias kommt. Und auch wenn man auf jemanden trifft, kann man PVP-Auseinandersetzungen recht einfach aus dem Weg gehen. Schade nur, dass auch diese Solo-Taktik nicht vor den Server-Abstürzen sicher ist und einem Bethesda nicht die Möglichkeit gibt, komplett offline zu spielen.

Alles Einstellungssache?

Letztlich ist auch Fallout 76 – zahlreiche Startprobleme hin oder her – ein unglaublich umfangreiches Videospiel, das euch sicherlich viele Stunden beschäftigen kann. Nach 30 Stunden könnt ihr zwar die Hauptgeschichte beendet haben, wer wirklich alles sehen möchte, kommt jedoch problemlos in den dreistelligen Stundenbereich. Ich persönlich hatte eine Menge Spaß mit dem komplexen Erstellen meiner eigenen Basis, genoss die atmosphärischen Glanzmomente des Spiels und freute mich nach jeder erfolgreichen Mission über neue Gegenstände, Rüstungen und Waffen. Auch der Survival-Aspekt ist erneut sehr gelungen und zwingt euch mit menschlichen Bedürfnissen, Gefahren von Krankheiten und etlichen Gegnern dazu, jederzeit auf der Hut zu sein. Doch all das hatte ich aber genauso schon in Fallout 4: Ein wirklich großer Sprung ist Fallout 76 also auch abseits seiner technischen Probleme nicht.

Wertung im Einzelnen
Story & Atmosphäre
7.5
Gameplay
8
Grafik & Sound
7.5
Technik & Performance
5
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