Releasetermin: 23.03.2017
Medientyp: Blu-ray Disc, Download
Genre: Action-Adventure, Rollenspiel
Entwickler: Bioware
Herausgeber: Electronic Arts
Während die ersten beiden Mass Effect-Teile allgemein als zwei revolutionäre Weltraumabenteuer angesehen werden, waren Fans schon weniger gnädig mit dem dritten Teil, der die Trilogie abschließen sollte. Die Kritik am Ende war so laut, dass EA per Patch gar ein neues Ende implementiert hat, das nach wie vor viele nicht zufrieden stellte. Der neue Ableger Mass Effect: Andromeda sollte eigentlich einen neuen Start für die Reihe einläuten. Doch schafft es die Reihe wohl nicht, dem Klatsch-Rampenlicht der Gaming-Medien fern zu bleiben. Allen voran die teils urkomischen Animationen sind heiß diskutiert – da rückt das Spiel fast schon in den Hintergrund. Ich habe mir die Zeit gelassen, das Abenteuer ungeachtet des Medienrummels durchzugehen und verrate euch, was Mass Effect: Andromeda tatsächlich misslingt und was der Titel hingegen richtig gut kann.
Willkommen in der Andromeda-Galaxie
Mass Effect: Andromeda spielt über 600 Jahren nach den Ereignissen der beliebten Trilogie. Den Schauplatz gibt der Titel des Spiels preis: Die Andromeda-Galaxie. Eine Reihe von Archen wird von der Milchstraße aus losgeschickt, um die “goldenen Welten” in Andromeda zu erkunden und eine neue Heimat für die Menschheit ausfindig zu machen. Spieler schlüpfen in die Rolle der Figur Ryder, die in einem Charaktereditor einen Vornamen, ein Geschlecht und Hintergrundinformationen verpasst bekommt. Die weibliche oder der männliche Ryder wird aus der Cryostase erweckt und findet sich auf dem Raumschiff Hyperion vor.
Doch die Erkundung verläuft natürlich alles andere als geplant. Von den anderen Archen fehlt jede Spur. Die Welten, in die die Menschheit so große Hoffnungen gesetzt hat, scheinen unbewohnbar zu sein. Und zu allem Überfluss kommen feindlich gesinnte, außerirdische Rassen ins Spiel, die die Crew der Hyperion angreifen. Auch wenn scheinbar alles aus den Rudern läuft, stellt Ryder die letzte Hoffnung für die Menschheit dar. Als neu auserkorene(r) “Pathfinder” gilt es für Ryder aufzuklären, was mit den anderen Archen passiert ist und was es mit den mysteriösen Relikt-Monolithen auf sich hat, die in der Galaxie verteilt sind.
Die Handlung ist größtenteils recht nett inszeniert und punktet mit einem spannenden Auftakt. Die Heldengeschichte um die Ryder-Hauptfigur braucht eine Weile um sich zu entfalten. Doch besonders das Konzept, quasi als außerirdische Spezies in die Welten eingesessener Lebensformen hinein zu platzen, hat viele interessante Momente zur Folge. Hier schöpft das Spiel sein Potential aber nicht genug aus. So führen die Begegnungen mit den unterschiedlichen Rassen nur selten zu Höhepunkten. Die Inszenierung der unerforschten Welten kann zwar meist überzeugen, doch geht über die Vorstellung der Bewohner allzu oft nicht viel Inhaltliches hinaus.
Schwächelnde Figuren und Dialoge
Während die Geschichte solide ist, aber das gewisse Etwas an vielen Stellen fehlt, zeichnete sich Bioware in den Vorgängern auch eher mit den Figuren aus. Schade nur, dass auch an dieser Stelle Potential verschwendet wird. Gerade in den ersten Stunden werden sehr viele Charaktere vorgestellt, doch schafften es nur wenige, mir auf Anhieb in Erinnerung zu bleiben. Ich habe den Titel auf Deutsch gespielt. So habe ich nicht selten Dialoge gehört, die schlicht kitschig und unglaubwürdig ausfallen.
Obwohl ich die meisten Synchronsprecher gar nicht mal schlecht fand und mir die Stimmen grundsätzlich gefallen haben, war es zumeist die Qualität der Konversationen, die mich aus dem Abenteuer herausgerissen haben. Zwar sind auch vorherige Mass Effect-Teile nicht ohne so einige unpassenden Sprüche ausgekommen. Doch ist mir in Andromeda vermehrt aufgefallen, dass die Stimmung der Figuren oft unangebracht ist. Inmitten gefährlicher Schlachten bringt da so mancher Kumpane einen unbekümmerten One-Liner hervor, der einfach nur Fehl am Platz wirkt.
Gesichtsmuskeln außer Kontrolle
Das wird weiterhin unterstützt durch die heiß diskutierten Gesichtsanimationen, um die ich auch in meinem Test nicht herumkommen werde. Die Figuren drücken sich beim Sprechen sehr grimassenhaft aus. Scheinbar jeder Gesichtsmuskel bewegt sich, wenn die Charaktere den Mund aufmachen, freudig zu lächeln versuchen oder erbost die Augen aufreißen. Während viele Nuancen oft gut ausgeführt werden, kommt jede Reaktion mit etlichen Nebenwirkungen daher. Im gesamten Gesicht zucken nur so die Muskeln, was aus einer passenden Mimik im nächsten Moment schon wieder die entstellte Fratze werden lässt.
Mir ist bewusst, dass bei der Fülle an Figuren und vor allem der Menge an Dialogoptionen nicht jede Reaktion von Hand gestaltet werden kann. Doch hat die aktuelle Umsetzung leider den Effekt, dass viele Situationen über die schwächelnden Konversationen hinaus durch die ungünstigen Gesichtsanimationen sämtliche Wirkung verlieren und ich die Geschehnisse nur bedingt ernst nehmen konnte. Ich bin sehr gespannt darauf, wie Bioware die Animationen mit den angekündigten Patches in den nächsten Wochen verbessern wird.
Loyalitätsmissionen formen Figuren gut
Sind die Geschichte und die Figuren also ein Reinfall? Keineswegs! Auch wenn Andromeda in dieser Hinsicht mit Problemen zu kämpfen hat, gibt es viele Aspekte, durch die die Interaktionen im Endeffekt doch unterhaltsam sind. Das habe ich vorrangig bei den Loyalitätsmissionen gemerkt. Nach mehreren Stunden bietet sich dem Spieler die Möglichkeit, verschiedenen Crew-Mitgliedern unter die Arme zu greifen und sich so nicht nur deren Loyalität zu sichern, sondern diese auch besser kennenzulernen. Ich habe viele Teammitglieder nach ihren Nebenmissionen jedenfalls lieber gehabt, als es zuvor der Fall war.
Mit steigender Spielzeit fallen die unpassenden Gesichtsanimationen zudem immer weniger ins Gewicht, sodass es mir nach einer Weile leichter fiel, mich auf die Figuren einzulassen. Auch die ausgeweiteten Dialogmöglichkeiten haben mir gefallen. Der männliche oder die weibliche Ryder hat verschiedene Optionen, an Konversationen heranzugehen. So lassen sich Fragen stellen, um weitere Informationen zu entlocken. Ein Gespräch kann vorangetrieben werden, damit das aktuelle Thema abgeschlossen wird. Wir können darauf abzielen, freundschaftlich auf Figuren einzugehen und auf diese Weise früher oder später Loyalitätsmissionen zu erlangen. Zu Guter Letzt wartet die Flirt-Option auf euch. Die Hauptfigur hat dutzende Chancen, den Charme spielen zu lassen und bei vielen Figuren auf lange Sicht auf eine Beziehung hinzuarbeiten.
Gelungene Konversationen und vielseitige Romanzen
In den Konversationen kann Scott, Sara oder der selbstbenannte Ryder-Charakter in verschiedener Weise reagieren. Die Persönlichkeitsarten sind eingeteilt in emotional, logisch, zwanglos und professionell. Bei sämtlichen Antwortmöglichkeiten sind mindestens zwei dieser Verhaltenstypen vertreten. Es gibt also nicht mehr strikt “gut” und “böse”, wie es zuvor noch der Fall war. Zudem wird aus den Antworten nicht immer ersichtlich, welche Reaktion zu welchem Umgangston gehört. Je nachdem, wie sich Ryder in Konversationen verhält, wird die Persönlichkeit geformt. Ich hatte jedenfalls viel Spaß daran, mich mit den Optionen auszutoben und konnte einige wirklich lustigen Situationen mit meinen flotten Sprüchen herbeiführen.
Natürlich habe ich auch keine Chance ausgelassen, mich an alle Figuren heranzubaggern, die nicht bei Drei auf den Bäumen waren. Vor allem zu Beginn ermutigt das Spiel hier ebenfalls zu experimentieren und die Flirt-Funktion oft auszunutzen. Was sich später zwar noch ändert, hatte es anfangs keine Konsequenzen, dass ich mit gleich mehreren Charakteren angebandelt habe. Auch hier ergeben sich einmal mehr in Kombination mit den Fehltritten der Dialoge und Gesichtsanimationen einige aberwitzige Situationen. Ich habe in Mass Effect Andromeda zumindest deutlich mehr gelacht, als ich es vor dem Spielen noch erwartet habe – das ist doch einmal ein positiver Punkt, wenn auch nicht ganz auf diese Weise beabsichtigt.
Die Romanzen nehmen aber auch ernstere Züge an, sodass Fans dieses Features nicht enttäuscht sein werden. Es gibt zahlreiche Figuren unterschiedlicher Rassen und verschiedenen Geschlechts, die für ein eventuelle Partnerschaft in Frage kommen. Die möglichen Sexszenen sind recht reif inszeniert und so ist es tatsächlich ein unterhaltsames Ziel, auf eine Romanze hinzuarbeiten. In dieser Hinsicht hat Bioware also sehr gut nachgelegt – wenn da bloß die unfreiwilligen Lacher hier und da nicht wären.
Fantastischer Third-Person-Shooter mit größerer Spieldynamik
Viel Zeit verbringen wir also damit, Figuren auf der Tempest, dem Raumschiff zur Erkundung, in Gespräche zu verwickeln. Doch auch fernab des Zeitvertreibs mit anderen Charakteren gibt das Spielgeschehen von Andromeda eine gute Figur ab. Hier baut der Titel gelungen auf den Stärken von Mass Effect 3 auf. Einmal mehr sind wir mit einer Reihe von Figuren auf fremden Planeten unterwegs und spielen in Third-Person-Sicht einen Shooter. Hauptsächlich bedienen wir die Hauptfigur, doch lassen sich auch rudimentäre Befehle an die Begleiter geben. Die Schussgefechte fühlen sich hochwertig an, was an den tollen futuristischen Waffen liegt. In den Arealen sind jede Menge Möglichkeiten zur Deckung gegeben. Auch erfordern Feinde mit starker Panzerung oder Schilden für andere Strategien. Neben einem Jetpack-Schub, der auch beim Fortbewegen in der Umgebung hilft, stehen eine Reihe von speziellen Fähigkeiten zur Verfügung, die dem Kampfsystem etwas mehr Substanz verleihen.
Nicht nur flotte Nahkampfangriffe gibt es hier, sondern beispielsweise auch die “Singularität”, die Feinde vom Boden hebt und kurzzeitig in der Luft schweben lässt. Es macht Spaß, sich die Skills anzueignen und weiterhin nach passiven Fähigkeiten Ausschau zu halten, die zum Beispiel die eigene Schildfertigkeit erhöhen. Durch die verbesserte Mobilität der Jetpack-Schübe spielt sich das Geschehen deutlich dynamischer als seine Vorgänger. War das Deckung nehmen zuvor noch unerlässlich, sind nun deutlich aggressivere Spielweisen möglich, die sich auf die schnelle Bewegung stützen. Unterm Strich hat Andromeda daher das beste Kampfsystem der Reihe und muss sich vor anderen Third-Person-Shootern keineswegs verstecken. Auch in puncto RPG-System hat Andromeda Verbesserungen zu verbuchen. Anstatt auf eine Charakterklasse limitiert zu sein, können wir uns vielmehr einen Mix aus unterschiedlichen Fachgebieten zusammenstellen. Das funktioniert sogar mitten im Kampf, was weiterhin die Dynamik in actionreichen Momenten unterstreicht.
Viele spaßige Missionen, doch leider mit ödem Scanning-Tool
Aus diesem Grund hatte ich auch am meisten Spaß an Missionen, die mir dutzende Feinde als Kanonenfutter geboten haben. Da viele Aufgaben stark auf die Schussgefechte setzen, war ich über weite Teile meiner Spielzeit auch gut bedient mit den Missionen. Doch gab es auch so einige Quests, die das Geschehen ruhiger angingen und mich stellenweise etwas anödeten. Hier möchte ich das Scanning-Tool erwähnen, das wichtige Punkte in der Umgebung optisch hervorhebt und analysieren kann. Das damit verbundene Crafting-System hat mir gut gefallen und so freute ich mich über jede stärkere Rüstung oder Waffe.
Doch langweilten mich die Momente, in denen ich mit dem Scanner minutenlang nur die Umgebung abgraste. Es leuchtet mir zwar durchaus ein, dass die Forschungsdaten in einer neuen Galaxie von immenser Bedeutung für die überlebenden Menschen sind. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich mit sämtlichen Aufgaben, die den Scanner langfristig involvieren, keinen großen Spaß hatte.
Unterhaltsame Erkundung mit dem Nomad-Rover
Das bedeutet aber nicht, dass die Erkundung der Areale schlecht ausgefallen ist. Allen voran mit dem Nomad-Rover habe ich gerne großflächige Gebiete abgefahren. Das Vehikel bietet als Spielmechanik kaum Tiefgang, doch ist das Fahren immerhin unterhaltsam gestaltet. Während ich also hauptsächlich von den Scanning-Aktivitäten nicht begeistert war, haben mich die Quests grundsätzlich überzeugen können. Die Nebenmissionen halten oft interessante Geschichten über die Welt parat, auf der sich der Spieler gerade befindet. Man hat bei Bioware deutlich von den berühmt berüchtigten “Fetch-Quests” aus Dragon Age Inquisition gelernt. Zwar fühlen sich manche Aufgaben in der semi-offenen Spielwelt etwas aufgezwungen an und auch die starke Betonung auf Backtracking zum Upgrade durch Ressourcen hat mich gestört, doch ist die Qualität der Missionen und der generelle Spielaufbau insgesamt gelungen.
Koop-Multiplayer stützt sich auf spielerische Stärken
Wer wie ich genau so viel Spaß am Kampfsystem hat, wird sich über die Implementierung eines Online-Multiplayers freuen. Hier wird wie in Mass Effect 3 ein Horden-Modus geboten, der eine Gruppe an Spielern gegen Wellen an Feinden antreten lässt. Je höher der Schwierigkeitsgrad, desto mehr halten die Feinde aus und desto größer sind die Gegnerscharen. In den kooperativen Missionen können sich Spieler zudem Materialien für ihr Solo-Abenteuer verdienen, wodurch sich ein Blick in den Multiplayer durchaus lohnt. Das Matchmaking und die Qualität der Server war in meinen Versuchen stets einwandfrei, weshalb ich mich auch in Zukunft an den immer schwereren, wellenbasierten Aufgaben probieren werde.
Grafik mit tollen Momenten – doch auch mit viel zu vielen Bugs und Glitches
Optisch hat mir Andromeda gut gefallen. Ich habe auf der PS4 Pro gespielt, die nicht nur einige grafische Zusatzeffekte auf Lager hat, sondern das Bild auch dank 1800p-Checkerboarding in 4K ausgibt. Wer auf einem Full HD-Bildschirm spielt, genießt trotzdem die Vorteile von Downsampling und einem äußerst klaren Bild. Das Spiel wartet mit wirklich schönen Landschaften auf seine Spieler und wirft nicht nur im Kampf mit aufwendigen Effekten um sich. Auf den fremden Planeten zeigt sich Andromeda wahrlich von seiner besten Seite. Die Figurenmodelle hingegen sehen solide aus, wirken aber etwas künstlich. Das hängt einmal mehr mit den unsauberen Gesichtsanimationen zusammen. Doch auch die Lauf- und Sprunganimationen sehen klobig aus.
Zudem leidet der Titel daran, dass nachladende Texturen hin und wieder zu spät aufpoppen und negativ die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auch die Framerate lässt etwas zu wünschen übrig. Sowohl auf der Pro als auch der regulären Konsole werden 30 FPS angepeilt. Oft wird diese Marke erreicht, doch besonders in actionreichen Kämpfen gibt es Framerate-Einbrüche zu bewundern. Bugs und Glitches beschränken sich nicht nur auf Gesichter und Bewegungen, sondern können unter anderem Figuren gar zum Einfrieren oder zum im Kreis laufen bringen. Auf diverse Weise macht der neue Mass Effect-Teil bemerkbar, dass die technische Umsetzung noch einige Monate mehr Entwicklungszeit hätte vertragen können. Es ist wirklich schade, dass der Gesamteindruck durch diese Probleme herunter gezogen und Andromeda nicht ganz unverdient deshalb durch den Kakao gezogen wird. Ich hoffe, dass Bioware mit den kommenden Patches wirklich Abhilfe bietet – es würde dem Spiel wahnsinnig gut tun.