Virtual Reality macht innovative neue Erfahrungen möglich. In diese Kategorie fällt auch The Invisible Hours, das für Playstation VR, HTC Vive und Oculus Rift erhältlich ist. Ein Krimi, der den Spieler mitten ins Geschehen steckt? Was ich mir anfangs nur schwer vorstellen konnte, zählt nun zu meinen Lieblingserlebnissen in VR. Ich habe den Titel von Tequila Works über Steam auf der HTC Vive ausprobiert.
Typische Krimiprämisse auf völlig neue Art umgesetzt
The Invisible Hours ist kein traditionelles Spiel, doch wahrlich auch kein gewöhnlicher Film. Vielmehr präsentiert es sich als interaktives Erlebnis, das mit seiner mehrschichtigen Handlung den Spieler dazu animiert, jedes noch so kleine Detail der Story aufzudecken. Nikola Tesla hat sechs Menschen auf seine private Insel eingeladen. Er lockte seine Besucher mit individuellen Versprechen, und da die Neugier des Menschen nicht selten riesig sein kann, lassen sich die Figuren tatsächlich auf die Reise ein.
Wir begleiten zunächst den schwedischen Detektiven Gustaf Gustav, der bei Betreten des Anwesens des bekannten Erfinders seinen Augen nicht glauben kann: Nikola Tesla, der Mann, der ihn überhaupt erst auf diese Insel bestellt hat, liegt tot in der Eingangshalle seiner Villa. Die anderen fünf Eingeladenen zeigen sich ebenso erschüttert von diesem Umstand und auch der blinde Butler ist geschockt. Welchen Personen kann Gustaf Gustav allerdings trauen? Und welche Geheimnisse hat er selbst zu verbergen? Was sich als klassische Krimiprämisse präsentiert, wird erst mit den Möglichkeiten der virtuellen Realität zum richtigen Spektakel.
Die Handlung von The Invisible Hours spielt über einen Zeitraum von rund 90 Minuten. So könnte man sich theoretisch lediglich die Geschehnisse um Gustaf Gustav ansehen und auch den Großteil der Handlung verstehen. Manch einer wird das Erlebnis womöglich zwar schon nach rund 1 ½ Stunden beenden, was beim Preis von 34,99€ für einen teuren Spaß sorgt. Allerdings lebt der Titel davon, dass man die parallel ablaufenden Handlungsstränge nach und nach aufdeckt. Ich empfehle allen Spielern, sich die Zeit zu nehmen und alle Figuren ausreichend zu begleiten.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass man durchaus Geduld mitbringen sollte. Zumeist lassen sich zwar interessante Konversationen und ereignisreiche Szenen beobachten, doch gibt es hin und wieder auch mal minutenlang weniger spektakuläre Momente, durch die man eben durch muss. Während The Invisible Hours also nicht über seine vollständige Laufzeit glänzt, macht die Immersion der VR-Umsetzung das aber allemal wieder wett. Und auch wenn The Invisible Hours mit seinem Ende zwar nicht jede aufgeworfene Frage aufklärt, werden doch die meisten Konflikte zufriedenstellend abgeschlossen.
War es der blinde Butler, der Erfinderrivale oder doch seine ehemalige Assistentin?
Ich habe hauptsächlich auf Englisch gespielt. Die Sprecher liefern einen vorzüglichen Job ab. Auch das gut geschriebene Skript hat einen großen Anteil daran, dass hier eine wirklich solide Geschichte erzählt wird. Die deutschen Sprecher konnten mich nicht durch die Bank weg überzeugen, doch sind zumindest einige Figuren gut getroffen. Mit vielschichtigen Charakteren, die allesamt gelungene Hintergrundgeschichten mitbringen und diese im Laufe der Handlung preisgeben, gehört die Darstellung der sieben Anwesenden zu den Stärken des Titels.
Doch wie erlebt man die Geschichte denn nun in VR? In nachfolgendem 360°-Video auf Youtube könnt ihr einen groben Eindruck davon gewinnen, wie sich The Invisible Hours präsentiert:
Der Spieler als unsichtbare Kamera und Zeitmanipulierer
The Invisible Hours macht es möglich, nicht nur in der Zeit herumspringen, sondern auch alle Figuren frei verfolgen zu können. Spieler werden quasi selbst zur Kamera und schauen sich beispielsweise in Kapitel 1 an, was parallel zu Gustafs Ankunft in der Villa passiert. Welche Charaktere waren in Konversationen verwickelt? Wer könnte etwas mit dem Tod des Gastgebers zu tun haben und mit welchem Motiv?
Während die Geschehnisse bereits im ersten Kapitel die ein oder andere Überraschung parat halten, überschlagen sich die Ereignisse im späteren Verlauf regelrecht. Es ist extrem spannend zu verfolgen, was die sieben Figuren parallel auf dem Anwesen von Tesla treiben. Sehr unterhaltsam fand ich, dass manche Geschehnisse anderer Figuren bereits bei der Beobachtung einer unbeteiligten Person angedeutet wird. So hört man gelegentlich Gebrüll aus einem Nebenzimmer, was auf einen Streit hindeutet und mich bereits vorab total heiß drauf machte, die selbe Zeitspanne mit Blick auf andere Figuren zu erleben.
Als omnipräsenter Zuschauer, der quasi auf einer Stufe mit den beteiligten Personen gestellt wird, können wir eine Teleport-Mechanik nutzen, um den aktuellen Schauplatz der Geschichte zu erkunden. Im ersten Gang versucht man natürlich, den handelnden Figuren auf Schritt und Tritt zu folgen. Wer dafür nicht immer alle paar Sekunden manuell teleportieren möchte, kann einen automatischen Bildwechsel aktivieren. Legt man sich dafür auf eine Person fest (ich wählte zunächst zumeist Gustaf Gustav), setzt uns das Spiel automatisch immer wieder an neue Stellen, von denen aus wir das gesamte Geschehen rund um diese Figur so gut es geht im Blick haben. Das ist wie erwähnt besonders praktisch, wenn die Figuren am Laufen sind und die Ansicht häufig angepasst werden muss.
Stets das Geschehen im Blick halten? Gar nicht so einfach!
Dieser automatische Bildwechsel kommt aber mit einem Problem daher. Bei jeder neuen Bildeinstellung richtet das Spiel die Blickrichtung neu aus. Dort, wo wir zum Zeitpunkt des Bildwechsels hinschauen, ist fortan “vorne”. Wer seinen Kopf bei den narrativen Szenen kaum bewegt und lediglich nach vorne schaut, wird damit kein Problem haben. Schaut man sich aber in der Gegend um – und dazu läd die Technik der virtuellen Realität nun einmal ein, gerade bei solch einem hübsch inszenierten Spiel mit viel Liebe zum Detail – ist eine häufige Nachadjustierung der Ansicht dennoch nötig. Es wird also keine optimale Lösung angeboten, doch ist die Problematik dahinter auch kein allzu dramatischer Kritikpunkt.
Ich habe versucht, bei Segmenten mit Storygeschehen die automatische Verfolgungskamera zu nutzen und meinen Blick nach vorne zu richten. Sobald ich in ein neues Areal geführt wurde oder ein Kapitel beendet hatte, pausierte ich die Erzählung und ging erst einmal mit der Teleportationsfunktion auf Erkundungstour. Ich schaute mir alle sehenswerten Einzelheiten genauer an, bevor ich wieder in die Verfolger-Ansicht schlüpfte und das Geschehen weiterlaufen ließ. Erst einmal an diese Herangehensweise gewöhnt, gelang es mir ohne weitere Probleme, den Geschehnissen zu folgen.
Hoher VR-Komfort und damit sehr Einsteigerfreundlich
Durch die Nutzung von Fortbewegung durch Teleportation, noch dazu mit “Blink”-Mechanik für einen erhöhten VR-Komfort, dürfte The Invisible Hours für die Allerwenigsten zu Übelkeit und Unwohlsein führen. Daher eignet es sich durchaus als gelungener Einstieg in die Welt der virtuellen Realität. Das manuelle Teleportieren mit Hilfe der Vive-Controller könnte für VR-Neulinge anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ausfallen. Schnell aber klickt man sich in Windeseile durch die Gänge der prachtvollen Villa. Die Vor- und Rückspulfunktionen sind hingegen absolut selbsterklärend. Ich hätte mir lediglich gewünscht, die Geschwindigkeit beim Spulen hochdrehen zu können.
Spaßige Erkundung dank eines toll gestalteten Tatorts und gelungener Sammelobjekte
The Invisible Hours hat einen fantastischen Schauplatz, den der Titel auch toll ausnutzt. Auf dem Anwesen findet nicht nur das Story-Geschehen statt, sondern eignet es sich auch bestens zur Erkundung. Viele kleine Details können in der Villa entdeckt werden. Zudem sind Tagebuchseiten, Beweisstücke, Fotos und die Einladungsbriefe aller Personen versteckt, die nicht nur die Erkundung belohnen, sondern auch Licht ins Dunkle bringen und so manche ungeklärte Frage somit auch abseits der eigentlichen Handlung klären. Auch die Möglichkeit, wichtige Objekte während des laufenden Geschehens einer Figur aus der Hand zu nehmen und inspizieren zu können, ist sehr nett umgesetzt und fördert den Sammeltrieb.
Ich habe The Invisible Hours mit 90% abgeschlossen, dabei fast alle versteckten und relevanten Objekte gefunden und weitestgehend alle Ereignisse miterlebt. Dafür habe ich rund 6 ½ Stunden benötigt, was für einen VR-Titel absolut solide ist. Man darf den Umfang und auch den Preis von rund 35€ nicht mit klassischen Spielen vergleichen. Da würde das Erlebnis natürlich nicht beste Preis-/Leistungsverhältnis abgeben. Doch gerade gemessen an ähnlichen VR-Produkten, und da der Markt nun mal immer noch eine Nische ist, geht der Preis für das Gebotene mehr als in Ordnung.
Grafisch mit viel Liebe zum Detail, aber insgesamt schwammiger Darstellung
Ich habe lediglich ein kleines Problem mit The Invisible Hours. Es machte optisch in meinem Durchgang einen verschwommenen Eindruck. Das ist primär auf meine in die Jahre gekommene Grafikkarte (R9 390) zurückzuführen. Doch selbst wenn ich probeweise auf die “Ultra”-Grafikoption stellte (ich spielte aus Performance-Gründen jedoch auf “Medium”), gab der Titel kein wirklich klares Bild ab. Supersampling kann da natürlich etwas Abhilfe schaffen, doch sind dafür teure High End-Grafikkarten von Nvidia notwendig. In Kombination mit einem hochauflösenden VR-System wie dem PIMAX 8K würde sich daraus wohl ein ganz anderes Bild ergeben.
Auf der HTC Vive präsentierte sich The Invisible Hours mit meiner Mittelklasse-GPU aber recht schwammig. Das ist schade, da besonders in den Umgebungen und an den Figuren eine detailreiche Darstellung angedeutet wird. Auch der starke Screen Door-Effekt ließ mich die vielen kleinen Details der Inneneinrichtung oftmals nicht wertschätzen. Immerhin gab die Performance einen vorzüglichen Eindruck von sich. Auf der gespielten “Mittel”-Grafikstufe konnte ich keinerlei Einbrüche der Bildrate bemerken. Der technische Aspekt hinter The Invisible Hours ist also durchaus solide, doch zeigt der Titel auch, dass es eben heutzutage noch so einige Limitierungen gibt.
Ganz viel Charme durch Theater-Präsentation
Die Präsentation des Titels ist hingegen fantastisch und hat sehr viel Charme in petto. Zu Beginn schreiten wir durch die Eingangshalle eines Theaters, nehmen in einer Loge Platz. Im Pausenmenü kehren finden wir uns erneut in der Loge vor, haben zu unserer Rechten einen Tisch mit wichtigem Beweismaterial. Zu unserer Linken finden wir einen Tisch mit einem Tagebuch und einem Fotoalbum, die sich mit den Funden der Villa füllen. Vor uns wird eine grobe Skizze des Anwesens gezeigt. Ein Zeitstrahl findet sich darunter, auf dem wir manuell hin- und herspringen können. Kleine farbige Punkte zeigen auf der Karte, welche Personen zum aktuellen Zeitpunkt des Zeitstrahls wo waren – ein wirklich tolles Feature. Passend zu den farbigen Punkten sind auch die Anwesenden zum Todeszeitpunkt noch einmal mit einem Bild aufgeführt.
In äußerst ansehnlicher Inszenierung können Spieler im Pausenmenü also nicht nur einige Optionen ändern, sondern sich auch noch einmal mit Hilfe einiger Mitteln die bis dato bekannten Knackpunkte der Story ins Gedächtnis rufen.
Fazit
Wenn ich auf meine Zeit mit The Invisible Hours zurückblicke, steht für mich schon jetzt nach wenigen Tagen fest, dass es für mich eins der bisher einprägsamsten Erlebnisse in der virtuellen Welt darstellt. Das Konzept der interaktiven, vielschichtigen Story mit dem Spieler als freie Kamera, der die Geschehnisse nach und nach aufdeckt, ist in VR einfach fantastisch umgesetzt. Die Geschichte des Krimis fällt wirklich solide aus und überzeugt insbesondere im Englischen mit glaubwürdigen Figuren und gelungenen Abschlüssen der diversen Handlungsstränge. Auch die Erkundung der Villa hat mir großen Spaß bereitet.
Ich muss aber zugeben, dass The Invisible Hours nicht jedem gefallen wird. Der Titel verlangt viel Geduld von seinen involvierten Zuschauern, sofern sie denn alle Szenen der Handlung aufdecken möchten. Auch die technische Umsetzung limitiert das Erlebnis etwas. So detailliert das Anwesen von Nikola Tesla auch gestaltet ist – durch die niedrige Auflösung der populärsten VR-Headsets auf dem Markt und die verschwommene Darstellung gehen viele Details verloren.
The Invisible Hours zeigt eindrucksvoll, wie Virtual Reality den Zuschauer auf völlig neue Weise in Geschichten einbinden kann. Ich bin mir durch das Werk von Tequilla Works sicher, dass viele Filmemacher dieses Medium früher oder später für sich entdecken werden und freue mich daher auf alle Erlebnisse dieser Art, die in den nächsten Jahren folgen werden.
Im Playstation Store kaufen – 39,99€
Im Oculus Store kaufen – 34,99€
Ich habe das Spiel über Steam auf der HTC Vive gespielt. Weiterhin sind Versionen für Oculus Rift und Playstation VR in den entsprechenden Stores verfügbar.